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Wie mich Philip K. Dick beinahe in eine Parallelwelt versetzt hätte...
Von Michael Baumgartner | August 2003

Vorwort der Redaktion: Realität ist nur eine Frage des Standpunktes. Oder des Wissens. Oder eine Mischung aus beidem. PKD-Fan Michael Baumgartner jedenfalls hat eben jene Realität einen Streich gespielt, der so manchem PKD-Enthusiasten zumeist gen Ende der Lese- und Sammellaufbahn über den Weg gelaufen sein dürfte. Er las ein Buch von Philip K. Dick, das gar nicht von Philip K. Dick ist! Und hat die Geschichte dazu für uns alle aufgeschrieben.

Es gab eine Zeit, da ich viel Science Fiction in Taschenbuch- und Heftform auf Flohmärkten und Wühltischen gekauft habe, ohne viel von Science Fiction zu verstehen. Ich wusste noch nicht, wer die wichtigen Autoren sind, die damals um 1980 fast alle noch gelebt haben. Diese Sammelphase ging vorüber, schwächte sich ab, je mehr ich las und über Science Fiction wusste.

Meine Hauptinformationsquelle war das Heyne Science Fiction Lexikon, später diverse Fanzines und Magazine. Die Bücher, das heißt die Taschenbücher, habe ich später mal in einer Bibliothek alphabethisch aufgestellt, die Hefte jedoch verschwanden in Schränken und somit auch zum größten Teil aus meinem Blickfeld. Viele Jahre verblieben sie, sie die schlecht beleumdeten Brüder der Taschenbücher, dort unbeachtet.

An einem Wochenende schaute ich mir den Hauptstapel mal wieder an. Es waren Utopia Großbände, aber Terra-Hefte. Ich schaute sie mit den Augen eines Sammlers an, denn ich war mir bewusst, dass ich sie wohl nie lesesn würde, da sich mich einfach zu wenig interessierten. Und von den interessanteren wie "Killdozer" von Theodore Sturgeon habe ich vollständigere und besser übersetzte Versionen. Doch dann hielt ich einen Roman in der Hand, der mich stutzig machte. Es war der Terra-Extra Band Nr. 55, er trug den Titel "Am Kreuzweg der Zeit" und war von Philip K. Dick!

Ich wusste mittlerweile ungefähr, was dieser bedeutende Science Fiction-Autor alles geschrieben hatte. Und eine wusste ich mit Sicherheit: Von diesem Roman hatte ich noch nichts gelesen oder gehört. Ich begann das Heft zu lesen, der Roman handelt von einem jungen Mann mit einer PSI-Fähigkeit, die ihn ahnen lässt, dass etwas besonderes geschehen würde. Er gerät in eine Auseinandersetzung zwischen Gruppen von Besuchern aus verschiedenen Zeitlinien, also Parallelwelten. Das war ein Stoff, der durchaus von Dick stammen konnte, wenn auch ziemlich auf Action heruntergekürzt. Das Titelbild, das ein zerstörtes New York zeigt, tat ein weiteres zu meiner Verwirrung.

Mich beschlich ein sehr merkwürdiges Gefühl, für einen Moment fühlte ich mich allein in einem fremden Universum, in einer Parallelwelt. Wenn eine Romanfigur in eine Parallelwelt versetzt wird, das ist eine Sache, wenn man Science Fiction am eigenen Leib erlebt ist das eine andere, wesentlich unangenehmere Erfahrung. Es war so, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich konnte es einfach nicht fassen.

Ich suchte nach einem Ausweg aus dieser beklemmenden Situation, ich musste die Sache klären. Ich griff nach der ersten Auflage des Heyne Science Fiction Lexikon, dem bibliographischen Teil in dem alle Reihen numerisch geordnet aufgelistet sind. Dort fand ich auch den Terra Extra-Band mit der Nummer 55. Dort stand als Autor Andre Norton und in Klammern dahinter das Kürzel "WV", das aber im Buch nicht aufgeschlüsselt wurde. Es war eine große Erleichterung, von diesem Fehldruck zu erfahren. Die Welt war wieder in Ordnung, ich war wieder im Einklang mit dem bekannten Universum. Der Eindruck war jedoch so stark, und die Umstände erschienen so zwingend, dass ich danach kaum Verwunderung empfand darüber, dass ein simpler Heftroman es schaffen konnte, mich derart zu beunruhigen.

Es bleibt die Frage, wieso ausgerechnet der Name Philip K. Dick auf diesem Fehldruck steht. Ist das purer Zufall, oder steckt hinter dem Zufall mehr, eine Art Wirklichkeitsdeformationen. Hat sich hier vielleicht der Realität ein Muster, ein metaphysisches Muster (oder ein morphogenetisches Feld) aufgeprägt. Denn der Name Philip K. Dick steht ja für die Hinterfragung der Realität, und Dicks Helden stellen oftmals heraus, dass ihre Welt, ihre Wirklichkeit, eine Konstruktion ist, hinter der sich eine ganz andere verbirgt. Insofern hat die falsche Autorenzuordnung nur zu gut gepasst.

Man kann natürlich annehmen, dass sich hier jemand einen Scherz erlaubt hat, doch warum ausgerechnet Dick? Er war zu dieser Zeit in Deutschland noch kaum bekannt, und wie gesagt, es gab nur zwei Hefte (Heftromane kann man sie ja nicht nennen) mit Philip K. Dick Erzählungen. Andere Autoren (Namen wie Clark Darlton oder Murray Leinster) wären viel naheliegender gewesen. Die Frage nach den Ursache lässt sich wohl nicht mehr vollständig beantworten und bleibt als bohrendes Gefühl im Hinterkopf. Ein Rätsel, das produktiv ist und vielleicht auch ermahnt, die Realität als Konstruktion zu erkennen, denn wie leicht lässt der Mensch sich täuschen und manipulieren.

Und wie man sieht, der Name Philip K. Dick kann schon ausreichen, um einem ein dick'eskes Gefühl von der Realität zu vermitteln, da braucht man seine Romane und Geschichten gar nicht mehr zu lesen. Eines weiß ich, dass ich einen solchen Moment der tiefgreifenden Verunsicherung nicht noch mal erleben möchte. Es war doch zu beängstigend.

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